und dies noch ...
Wissen und Empathie - verstehen, umsetzen und es leben

«Wie kann ich das beim Hund abstellen?»

Dieser Artikel erscheint als Beitrag zur Blogparade 2019 «fair statt fies» der Gruppe «Initiative für gewaltfreies Hundetraining»

Es ist diejenige Frage, welche Hundetrainerinnen und -trainer am meisten zu Gehör bekommen, in erster Linie von Kundinnen und Kunden, die unsere Arbeitsweise noch nicht kennen, oftmals am Schluss der ersten Stunde, wenn der Satz «Sind noch irgendwelche Fragen offen» in die Runde geworfen wird: Nach einem verlegenen «Ja» werden dann die verschiedensten hündischen Tätigkeiten aufgezählt, die als Untugend erscheinen und deshalb korrigiert werden müssten. Darum: «Wie kann ich das beim Hund abstellen?»

Oft geht es um einen jungen Hund, der noch gar nicht weiss, was sich aus seines Menschen Sicht gehört und was nicht, was dieser von ihm wünscht und was nicht, respektive was er wirklich nicht darf und oder sollte. Wenn man nun über jedes aufgezählte Verhalten sprechen möchte, dann würde das wohl endlos werden. Es geht jetzt nicht darum, Rezepte oder Konditionierungsprogramme zu erklären gegen das Bellen, wenn es klingelt, gegen das Hochspringen, wenn Bekannte kommen, gegen das Buddeln, wenn eine Maus im Loch sein könnte und so fort, sondern einzig darum, dem Menschen irgendwie zu helfen, damit er sich selber helfen und mit diesen Hunde-Situationen klarkommen kann. Und jetzt: Wie soll der Kunde das abstellen können, was doch ein richtiger Trainer wissen müsste.

Also, vorausgesetzt Ironie mit etwas Zynismus mag es erdulden, würde die Antwort so lauten: «Versuchen Sie es genau dort, wo es (das Verhalten) angestellt wurde!» Bevor nun die Fragezeichen in den Kunden-Augen zu gross werden, gibt man sogleich eine sinnvolle Hausaufgabe: «Bis nächste Woche nutzen Sie zu Hause das gemütliche Zusammensein mit Ihrem Hund, streicheln ihn an den verschiedensten Stellen des Körpers so angenehm, damit er nicht merkt, dass Sie eigentlich etwas suchen. Und falls Sie dieses etwas finden, nämlich einen Schalter oder Druckknopf, dann stellen Sie gleich ab!»

Vielleicht kommt dieser Tipp nicht so gut an oder erntet nur einen mitleidigen Lacher. Die Chance ist jedoch gross, dass man diesen Menschen zum Nachdenken angeregt hat. Nachdenken über den Hund sein Verhalten, den Wunsch, dieses abstellen zu können und über den Knopf oder Schalter, der sich natürlich nicht finden lässt.

Damit sei übergeleitet zum definitiv ernsthaften Teil. Wir können es Nachdenken nennen, darüber, wie man nun mit einem Hundeverhalten, das aus eigener Perspektive unerwünscht ist, umgehen oder dagegen vorgehen könnte, welche Möglichkeiten dazu bestehen. Man kann es als Strategie bezeichnen, oder als ein sogenanntes Fünf-Punkte-Programm.

  1. Passt Ihnen ein Hundeverhalten nicht, so versetzen Sie sich in die Sicht des Hundes und fragen sich dabei, warum Sie an dessen Stelle diese Tätigkeit so gerne ausführen würden. – Danach gehen Sie mit der gewonnenen Erkenntnis zurück in die Menschensicht, und beurteilen mit Ihrer kurzen Erfahrung aus der Hundesicht das Verhalten von neuem, ergänzend mit den Fragen an sich selbst: Ist das Verhalten gefährlich? Schadet es jemandem, dem Hund selbst, Ihnen? Widerspricht es dem Gesetz oder gesellschaftlichen Anforderungen, oder nur den Vorstellungen des Nachbarn, oder etwa gar nur den eigenen? Möglicherweise kommen Sie bereits jetzt zum Schluss, das Verhalten sei doch typisch Hund, störe niemanden und eigentlich vollkommen in Ordnung.

  2. Wenn nicht, erfolgt jetzt das Abwägen: Muss das Verhalten wirklich abgestellt werden, oder sollte man damit klarkommen können? In welcher Relation stehen die guten und schlechten Gefühle. Beispiel: Sie sind eine Stunde mit dem Hund spaziert, und es war ein wundervoller Spaziergang, bis auf die letzte Begegnung kurz vor dem Ankommen zu Hause: Der Hund ist drei Sekunden in der Leine gehangen und hat den «verhassten» Nachbarshund angebellt. Das hat Sie im Moment masslos geärgert, weil Sie zu wenig vorausgeschaut haben und dem Hund hätten ausweichen können, und weil der doofe Nachbar etwas hinterher gerufen hat von «Hund nicht im Griff haben».  Was wiegt nun bei Ihnen mehr: a) 59 Minuten und 57 Sekunden toller Spaziergang mit Ihrem Hund, oder b) die drei Sekunden Bellen, Ihr Ärger – oder c) der doofe Nachbar? Sollte die Antwort nicht auf a) lauten, dann müssten Sie in erster Linie an sich selbst arbeiten. Doch Punkt 3 steht Ihnen natürlich offen.

  3. Kommen Sie zum Schluss, dass das Verhalten trotz aller Erwägungen abgestellt werden soll, dann überlegen Sie sich, welche Sofortmassnahmen Sie treffen könnten, so auch im präventiven Sinne, damit der Hund das Verhalten vielleicht gar nicht mehr zeigen muss. Beispiele: andere Routenwahl für den Spaziergang, Bogenlaufen um die oder mehr Distanz zur Reizquelle, Klingelton der Hausglocke abdämpfen, auf faire Art Grenzen setzen (mit der Leine, damit er nicht hochspringen, jagen usw. kann), Hund zurückrufen, bevor er sich auf dem frisch ausgeführten Kuhmist wallt, keine erreichbaren Essensreste auf dem Tisch oder in der Küche herumliegen lassen etc. – Das Ziel ist dabei Prävention, dass dem Hund geholfen wird oder ihm keine Gelegenheit mehr gegeben wird, das Verhalten weiter zeigen zu müssen bzw. zu können und dieses weiter einzuüben. – Es besteht jetzt die Möglichkeit, dass das Verhalten wie von selbst abstellt. Wenn nicht, dann zum Punkt 4.

  4. Ein sehr wichtiger Teil: Suchen Sie nach der möglichen Ursache – vielleicht sind es auch mehrere – oder dem Auslöser für das unerwünschte Verhalten; analysieren Sie die Situation, wie es passiert, aber auch was vorher passiert ist, den Stresslevel, eventuell die Unter-/Überforderung, Tagesablauf. Klären Sie auf jeden Fall auch die Gesundheit ab, denn Schmerzen können manches auslösen. Machen Sie sich auch Gedanken über ihren Hund, den Charakter, die Rasse (z. B. Jagd- oder Wachhund) und vergessen Sie sich selbst nicht: Geht es Ihnen gut, wie steht es um Ihre Emotionen, Ihre eigene Gesundheit. Ursache ist vielfach eine Reizquelle, an der ich etwas ändern könnte. Seien Sie sich bewusst, dass bei Verhalten nebst einer inneren (intrinsischen) Motivation in der Regel auch eine äussere (extrinsische) im Spiel ist und beide zu beachten sind. – Führen die Veränderungen, die sich aus Punkt 3 ergeben haben und die man inzwischen umgesetzt hat, nicht zum gewünschten Erfolg, oder finden Sie die Ursache nicht heraus, zögern Sie nicht lange und ziehen Sie eine ausgebildete Verhaltenstrainerin (-trainer) bei, in schwierigen Fällen allenfalls auch ein Fachperson aus der Verhaltens-Veterinärmedizin.

  5. Arbeiten Sie begleitet von dieser Fachperson am betreffenden Verhalten, indem Sie die Situation (z. B. Distanz) so verändern bzw. entschärfen, dass sie der Hund bewältigen kann, ohne das unerwünschte Verhalten zeigen zu müssen. Lernen Sie ihm in einer angepassten Situation das erwünschte Verhalten, vielleicht ist das durch ein Umlenken des gezeigten Verhaltens, über ein Alternativverhalten oder über ein Angebot, verbunden mit freier Wahl, möglich. Egal welche Konditionierungsform, ob Desensibilisierung oder Gegenkonditionierung: Nutzen Sie dabei die Möglichkeiten der positiven Verstärkung, indem Sie das erwünschte Verhalten richtig belohnen (Lob, Futter, Spiel). Vermeiden sie dabei vor allem zu Beginn strikte die auslösenden Situationen, damit der Hund nicht in das frühere Verhalten zurückfällt. Und: Arbeiten Sie auch an sich selber, an Ihrer Einstellung, Motivation, ihrer Klarheit, Konsequenz, Freundlichkeit, bleiben Sie stets fair und gelassen, vermeiden Sie negative Gefühle sowohl bei Ihnen als auch beim Hund, setzen Sie keine aversive Mittel/Methoden ein (Leinenkorrektur, Schmerzen zufügen, erschrecken, anschreien etc.).

 

Bei der Verhaltensarbeit können zwischendurch Rückschritte eintreten. Auch damit muss man umgehen lernen. Zweifellos ist ein fairer Umgang mit dem Tier allein aus ethischer Anschauung ein Gebot. Dennoch lauern da und dort die Verführungen in Form von schnellen, heilsversprechenden Lösungen, die etwa beginnen mit «warum tun Sie sich das an?», und dann weitergehen mit «das haben wir rasch abgestellt», «da muss er jetzt durch», «er braucht eben eine harte Hand». Doch: was ist der Preis dafür? Man erfährt nur etwas über den möglichen kurzfristigen Erfolg, doch leider nie etwas über die mittel- oder längerfristigen Konsequenzen, was eigentlich im Nervensystem des Hundes ausgelöst wird und welchen Schaden man beim Einsatz gewisser Methoden darum anrichtet, ganz abgesehen vom Schaden an der Bindung. Grundsätzlich kann man den Einsatz aversiver Mittel hiermit in Abrede stellen: Wenn jemand an unserer Seite überfordert ist oder mit einer Situation nicht klarkommt, dann helfen wir doch  – und fallen ihm sicher nicht in den Rücken.

 Wir befinden uns als Hundehalter in der ständigen Gefahr, uns von irgendwelchen Erziehungszielen lenken oder durch Fremdvorstellungen vereinnahmen zu lassen, die uns und unserem Hund von dieser Zeit stehlen, die wir mit schönen, gemeinsamen Erlebnissen und viel nützlicheren Dingen füllen könnten. Eine gute Bindung ist etwas Gegenseitiges. Sie setzt viel gute Kommunikation voraus. Und diese besteht wahrlich nicht darin, dass ein Lebewesen massregelt und die Befehle erteilt und das andere kuscht und sie ausführt. Sie bedeutet, aufeinander achten, sorgsam und einfühlsam miteinander sein und leben. Wer dies mit seinem Hund tut, bekommt viel zurück. Das sind die schönen Gefühle einer funktionierenden Mensch-Hund-Bindung.

 Es braucht Wissen, Respekt und Empathie, um diese Form des Miteinanders zu verstehen, Zeit, um sie umzusetzen und die Souveränität, um sie tagtäglich zu leben.

Roman Huber